Es gibt Dinge, die sind so grundsätzlich, so wichtig und so außer Streit gestellt, dass man sie nicht in Frage stellen sollte. Man kann auch sagen: sie sind in Stein gemeißelt.
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zum Beispiel. Ihr Artikel 1 ist am Portal des Hohen Hauses am Ring seit 19 Jahren tatsächlich in eine Steintafel gemeißelt. Als Erinnerung an jeden von uns, auf welcher Basis wir hier im Parlament arbeiten und was uns als Leitstern unserer Entscheidungen leuchten sollte:
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen. ”
Wenn ich mir das Regierungsprogramm und die Erklärungen der neuen Mitglieder der Bundesregierung ansehe, habe ich aber den Eindruck, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sind für einige eher Korsett als Leitstern.
Ein klares Bekenntnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) oder gar zur Genfer Flüchtlingskonvention gibt es nicht. Ganz im Gegenteil: der neue Innenminister Kickl wollte vor kurzem die EMRK in Österreich durch seine persönliche Menschenrechtskonvention ersetzen. Eine Art Heimat-Hausordnung. Für mich in vielerlei Hinsicht ein eher beunruhigener Gedanke.
Ich würde es begrüßen, wenn der Herr Innenminister in seiner neuen Funktion ein eindeutiges Bekenntnis zur EMRK ablegen würden, damit wir sicher sein können. Im doppelten Sinne des Wortes.
Was sich schon jetzt zeigt: in Österreich regiert nun die Strenge und die Sanktion. Die FPÖ will die bewährte individuelle Unterbringung von Menschen in der Grundversorgung abschaffen. Ihre Begründung laut Klubobmann Johann Gudenus: „Man muss diesen Migranten zeigen, dass es bei uns in Österreich doch nicht so gemütlich ist, wie alle glauben“. Stattdessen plant man „Massenunterbringung“. Das Ziel ist klar: funktionierende Systeme und Einrichtungen auflösen, um dann „Alarm!“ schreien zu können, wenn die neuen, untauglichen Einrichtungen nicht funktionieren. Brand stiften eben. Das ist ihr sogar Steuergeldverschwendung wert: eine Unterbringung in kollektiven Unterbringungen würde laut Rechnungshof sogar 100% bis 400% teurer kommen als die individuelle Unterbringung. Die Kosten für die Errichtung solcher neuen Quartiere ist dabei noch gar nicht eingerechnet. Die Regierung möchte also Millionen an Steuergeld verschwenden.
Wo man versprechen kann, ungezügelte Strenge walten zu lassen, tut man dies: Außerhalb der EU wird das Ziel angepeilt, Migrationsströme zu „verhindern“. Da streut man der Bevölkerung Sand in die Augen. Migration lässt sich nicht stoppen, sondern nur managen. Und Entwicklungszusammenarbeit ist sicherlich nicht, wie im Regierungsprogramm angenommen, ein probates Instrument zum Verhindern von Migration. EZA soll Armut bekämpfen. Wenn man also Armutsbekämpfung ernst nimmt, dann hat man eine andere Zielgruppe vor Augen als die, die migrieren. Aber wie gedenkt die Bundesregierung konkret, nachhaltig Perspektiven im globalen Süden zu schaffen?
Nächstes Thema: Asyl. Hier erklärt die Regierung ihre Bereitschaft, „jenen Menschen, die unsere Hilfe wirklich brauchen, im Wege des Asyls Schutz für die Dauer ihrer Verfolgung zu bieten.“
Mein Maßstab ist immer der wahre Flüchtling. Wenn wir unsere Verfassung und ihre Werte selbst ernst nehmen, haben wir diesen Menschen nicht mit einem Generalverdacht zu empfangen. Dies soll aber passieren. Um kurz mal zynisch zu werden: AsylwerberInnen sollen gleich bei Antragstellung mit den Wertvorstellungen der Regierung konfrontiert werden, dass die Menschenwürde und –rechte nicht für alle gleich gelten. Konkret soll das Willkommenspaket aus einem Besuch beim Arzt mit eingeschränter Verschwiegenheitspflicht, dem Abnehmen von Handys zum Datencheck, Leibesvisitationen und der Abnahme von Bargeld bestehen. Beim Antritt einer Haftstrafe wird man ähnlich behandelt.
Beim Asylverfahren selbst kann der Spruch „speed kills“ auf tragische Weise wahr werden. Ja, schnelle Verfahren sind anzustreben weil sie rasche Rechtssicherheit und Klarheit bringen. Doch wir können nur dann sicher sein, dass wir den wirklich Schutzbedürftigen Asyl geben, wenn das Verfahren fair ist und Rechtsstaatlichkeit gewahrt wird.
Das war bisher nicht der Fokus der letzten schwarzen InnenministerInnen- und wird es leider auch jetzt nicht werden. Aber ich lasse mich gerne positiv überraschen, Herr Innenminister Kickl!
Die Gutachten (siehe zuletzt Mahringer zu Afghanistan), Dolmetschleistungen bzw. Bescheide sind leider oft von mangelhafter Qualität. Der Ausschluss der außerordentlichen Revision des Verwaltungsgerichtshofs, wie im Regierungsprogramm vorgesehen, wäre daher ein Desaster. Nehmen Sie davon Abstand, Herr Innenminister.
Wenn man so neu im Amt ist, kann man in der Eile schon mal Begriffe vermischen, die eigentlich nicht zusammengehören. Deshalb hier ein Beitrag zur Aufklärung: Asylberechtigte sind Menschen, denen zuerkannt wurde, dass sie bei uns zu ihrem Schutze bleiben dürfen.
Wenn dann im Kapitel „Stopp der Zuwanderung in den Sozialstaat“ von Geldleistungen an Asylberechtigte die Rede ist, führt das in die Irre. Denn Asylberechtigte wollten eben NICHT in den Sozialstaat immigrieren, sondern sind anerkannter Weise Schutzsuchende.
Es ist zu befürchten, dass diese Unterschiede bewusst verwaschen werden. Ziel ist es, gegen alle zu uns kommenden Menschen unter dem Titel „ilegale Migration“ Ressentiments zu schüren.
Geplant ist, Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte aus der Mindestsicherung auszuschließen und maximal 365 Euro Grundleistung sowie 155 Euro sogenannten Integrationsbonus bei abgeschlossener Integrationsvereinbarung und anderem Wohlverhalten zukommen zu lassen. Davon kann niemand in Österreich leben. Geschweige denn sich integrieren und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Das ist wohl Absicht der Brandstifter- neben dem Kalkül, für Schutzsuchende gegenüber den Nachbarstaaten unattraktiver zu werden. Die Höchstgerichte und der Europeäische Gerichtshof werden entscheiden, ob dieser Plan überhaupt EU-Rechts- und verfassungskonform ist.
Apropos Integration: Es gibt weiterhin kein eigenes Integrationsministerium, kein eigenes Staatssekretariat.
Beim Thema Integration beginnt das Regierungsprogramm mit der schönen Fiktion „Österreich bietet weiterhin alle Chancen zur Integration“ und endet in Sanktionsandrohungen.
Absurderweise findet man unter “Integration durch Leistung und gesellschaftliche Teilhabe” die geplante Maßnahme, Kinder, die keine ausreichenden Deutschkenntnisse aufweisen, in separaten Klassen zu unterrichten, bis ein ausreichendes Sprachniveau erreicht wird, um dem Regelunterricht zu folgen. Dazu wird das „ausreichende Beherrschen der deutschen Sprache“ als Schulreifekriterium festgelegt.
Was wird also passieren? Jene Kinder, die sich schnell in die Gemeinschaft der anderen integrieren sollen, werden in getrennten Gruppen unterrichtet. Also Segregation statt Integration. Das Gegenteil dessen, was man erreichen will. Oder zumindest vorgibt, erreichen zu wollen. Denn vielleicht wird hier der nächste Brand gelegt.
Was passiert, wenn man zu viel zündelt, können sie übrigens bei der Pauline im Struwelpeter nachlesen. Wäre fast zum Regierungsprogramm passend, ihn wieder in die Reihe der pädagogisch wertvollen Schriften aufzunehmen.